Was wir von Alice Munro lernen können

Nachdem wir erst kürzlich Paul Auster betrauern mussten, stehen wir erneut vor der Aufgabe, von einer großen Literatin Abschied zu nehmen: Alice Munro ist gestorben. Die kanadische Autorin und Nobelpreisträgerin verstarb am 13. Mai 2024 im Alter von 92 Jahren in Port Hope, Ontario, Kanada. Munro durfte ein langes Leben leben, das in literarischer Hinsicht viele Höhen bereithielt. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, gehört zu den renommiertesten Autorinnen der Gegenwart. Leider konnte Alice Munro die Verleihung des wichtigsten Literaturpreises der Welt nicht mehr miterleben, da sie im Alter an Demenz erkrankte.

Sie ist eine meiner Lieblingsautor:innen und ich nehme ihren Tod zum Anlass, einmal genau hinzuschauen: Was können wir als Schreibende von ihr lernen? Was können wir uns abschauen, um selbst ein Lebenswerk aufzubauen?

Eine kleine Welt

Alice Munro schrieb – wie auch Paul Auster und Jane Austen – über das, was sie kannte: Ihre Erzählungen und Kurzgeschichten spielten überwiegend in Ontario. Dort kannte sie sich aus. Zwar reiste sie im Laufe der Jahrzehnte an alle möglichen Orte auf diesem Planeten, doch beim Schreiben blieb sie ihrer Heimat treu. Bei mehr als 150 veröffentlichten Kurzgeschichten finde ich das doch erstaunlich. Wenn du einmal in ihr Werk reinliest, dann wird dich vielleicht – wie mich – ein Gefühl des Da-seins überkommen: Ich sehe die flirrende Sommerhitze, tauche ein in eine vergangene Zeit, erlebe Kanada durch Alice Munros Augen.

Tipp: Was erlebst du? Wie sieht deine Welt aus? Welche Rituale, Selbstverständlichkeiten und Brüche gibt es? Vor welchen Herausforderungen stehen die Menschen dort, wo du gerade bist? Was ist das Besondere im (scheinbar) Normalen? Schau genau hin: Dies sind die Dinge, die du gut kennst und die für andere Menschen interessant sein können. Das kann keine KI übernehmen. Nur du.

Eine kurze Form

Munro erhielt den Nobelpreis für eine Textform, der üblicherweise kein großer Erfolg beschieden ist. Der Roman gilt ja als die Königsdisziplin des Schreibens. Doch Munro hat es anders gemacht: Sie entschied sich für die kurze Form, und das mit Erfolg: Zwischen 1968 und 2012 veröffentlichte sie 14 Sammlungen von Kurzgeschichten und avancierte damit zur Bestsellerautorin. Sie gilt als „Meisterin der Kurzgeschichte“, revolutionierte deren Form. Ihr erstes Buch war „Tanz der seligen Geister“, das auch in meinem Bücherregal steht und 1968 erstmals aufgelegt wurde. Damals war Munro 37 Jahre alt. Ihr letztes Buch erschien 2012: „Liebes Leben“. Wir können von ihr lernen, uns an ihren Texten erfreuen und ihre Entwicklung als Schriftstellerin nachvollziehen, vor allem, wenn wir chronologisch lesen. 

Tipp: Hier ist mal wieder zu sehen, was wir mit Beständigkeit erreichen können. Wer beständig am Ball bleibt, Seite um Seite füllt – auch in Form von Kurzgeschichten -, baut ein Lebenswerk auf.

Aus der Not heraus

Doch wie kam es dazu, dass sie sich auf das Schreiben von kurzen Texten fokussierte? Interessierten sie Romane nicht? Mitnichten. Sie versuchte sich sogar daran, doch als Mutter von vier Kindern in den Fünfzigern und Sechzigern schrieb sie, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot – neben der Hausarbeit. Die fehlende Zeit mag ein Faktor gewesen sein – den ich als Mutter von drei Kindern auch kenne -, doch ich möchte sagen: Sie hatte einfach ihre Form gefunden. Sie goss das Leben, das sie umgab, in diese „Short Stories“, die sie letztlich berühmt machten.

Tipp: Dein Alltag lässt dir wenig Zeit, um an einem großen Projekt zu arbeiten? Dann versuche, es in seine Teile zu zerlegen und besonders kleinschrittig vorzugehen, oder probiere eine andere Textform aus: Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen, aber auch kurze Theaterstücke oder Drehbücher können eine Alternative sein. Sie sind keine reinen Fingerübungen, um auf den „großen Roman“ vorzubereiten, sondern haben einen Wert in sich. Mein Drehbuch „Ertrinkende Pflanzen auf Leinwand“ ist genauso Teil meines Lebenswerks wie mein Theaterstück „Ostf_ckland“.

Fazit

Alice Munro hinterlässt ein Werk, in dem sie ihre Zeit, ihren Ort für die Nachwelt in unvergleichlicher Weise konserviert hat. Berühmtheit war sicherlich nicht Alice Munros Goal. Sie wollte einfach nur schreiben. So hat sie – Schritt für Schritt, Seite für Seite – ein Lebenswerk geschaffen. Wir müssen nicht den Nobelpreis oder weltweite Bestseller anstreben – auch wenn wir es dürfen 😉 -, aber wir können uns abschauen, welche Schritte sie gegangen ist, um ihr Lebenswerk zu errichten. Und dann bauen wir an unserem: Wort für Wort, Seite für Seite.

Du hast Fragen oder Anregungen? Dann schreibe mir: kerstin@21ufos.de

Tipps zum Weiterlesen:

Artikel auf NDR.de

Artikel auf Deutschlanfunkkultur.de

Wikipedia

Nachruf beim S. Fischer Verlag

Autorenseite mit ihren Büchern – S. Fischer Verlag

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