Was wir von Paul Auster lernen können

Am 30. April 2024 ist der amerikanische Schriftsteller Paul Auster im Alter von 77 Jahren einem Krebsleiden erlegen. Auch hier in Europa ist er sehr bekannt. Er gehört zu meinen absoluten Lieblingsautoren, weshalb mich sein Tod sehr traurig macht.

Aber du kennst mich und weißt, dass ich aus allem, was einem im Leben passiert, auch Hoffnung schöpfen kann. Was ich dir und mir mitgeben möchte, ist das, was Paul Auster uns hinterlassen hat. Ich möchte mir sein Leben und Werk anschauen und was wir als Autor:innen daraus für unsere Arbeit, unser Leben lernen können.

Wer war Paul Auster?

Vielleicht hast du noch nichts von ihm gehört oder gelesen. Deshalb möchte ich ihn dir erst einmal vorstellen:

Paul Auster wurde 1947 in Newark, New Jersey, geboren. Er war der Sohn jüdischer Einwanderer und wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Er hat in seinem Leben 16 Romane und etliche andere Texte veröffentlicht und hat sich auch immer wieder dem Film zugewandt. Seine Bücher sind seit 1989 im Rowohlt-Verlag erschienen. (Hier geht es zum Nachruf.) Fast alle Texte spielen in seiner Wahlheimat New York, in der Stadt, in der er mit seiner Frau Siri Hustvedt gelebt hat. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Mond über Manhatten“ und „4 3 2 1“, sein Opus magnum. Er hat sich aber auch mit biographischen Arbeiten beschäftigt. Sein zuletzt erschienener Roman ist „Baumgartner“.

Tipp: Mein persönliches Lieblingsbuch von Paul Auster ist „Nacht des Orakels“. Es beschäftigt mich immer wieder und ich habe es mehrfach gelesen. Wenn du in die Paul-Auster-Welt einsteigen möchtest, empfehle ich diesen Zugang.

Paul Auster hat also ein beeindruckendes Lebenswerk hinterlassen. Was können wir daraus lernen?

Über den Output entscheidest du

Paul Auster war kein Schriftsteller mit einem wahnsinnig hohen Output. Er hat keine sechs Bücher im Jahr veröffentlicht. Dieser sehr hohe Output ist etwas, was uns immer wieder suggeriert, immer wieder an uns herangetragen wird: dass man sehr viel produzieren soll oder muss, wenn man am Markt bestehen möchte.

Natürlich waren es andere Zeiten, in denen Auster angefangen hat, zu schreiben. Aber: Wenn es um das Thema Output geht, mache dir einmal bewusst, dass es Autor:innen gibt, die eine Seite am Tag schreiben.

Zu denen gehörte Paul Auster.

Er hat mit der Hand in ein Notizbuch seine Geschichte geschrieben. Er hat sich dafür zurückgezogen und sie erst später, wenn die Geschichte fertig war, mit einer Schreibmaschine abgetippt. Behalte das einmal im Hinterkopf oder rufe es dir in Erinnerung, wenn du mal wieder das Gefühl hast, für dein schriftstellerisches Arbeiten sei es notwendig, ganz viele Seiten zu produzieren.

Das ist es nicht.

Es ist nötig, dass du die Seiten schreibst, die für dich wichtig sind; dass du herausfindest, was der Output ist, der zu dir passt.

Und was wir uns auch in Erinnerung rufen dürfen, ist, dass man mit einer Seite am Tag ein Lebenswerk schaffen kann. Diese eine Seite am Tag ergibt – wenn du dich wirklich jeden Tag dran setzt – 365 Seiten im Jahr. Damit kann man ein Lebenswerk aufbauen. Insofern: Output ist nicht alles. Es ist das Entscheidende, dass du die Menge an Zeichen, Wörtern, Seiten findest, die zu dir und deinem Schreiben passt.

Hingabe ans Schreiben

Der nächste Punkt, den ich beleuchten möchte, ist die Hingabe, mit der Paul Auster sich dem Schreiben gewidmet hat. Er hat schon als Kind angefangen, Gedichte zu schreiben und das Schreiben für sich entdeckt und erobert. Er hat unter anderem Anglistik studiert und sich dem Schreiben „verschrieben“.

Das Schreiben ist aber auch Teil seines Werks, denn er hat schreibende Protagonisten und hat über das Schreiben geschrieben, über das Schriftsteller-Sein und was das Schreiben mit uns macht, psychisch und physisch; was es bedeutet, nicht schreiben zu können, und wie entscheidend ein schönes Notizbuch ist. 😉 Ich glaube, dass Paul Auster viel von dem hineingelegt hat, was ihn als Schriftsteller ausgemacht hat.

Zufall muss man können

Etwas, für das Auster auch bekannt ist, sind die Zufälle in seinen Geschichten. Zufälle sind üblicherweise schwer zu schreiben und nur dosiert einzusetzen, da sie – „deus ex machina“ – wie der Eingriff einer höheren Macht wirken können. Paul Auster wird auch als „Meister des Zufalls“ bezeichnet, weil er diese Zufälle und schicksalhaften Begegnungen so meisterhaft miteinander verknüpft hat, dass es technisch und stilistisch nicht aufstößt, einen rausreißt oder gekünstelt wirkt.

Tipp: Wenn du dich mit dem Thema Zufall – und wie man Zufälle vernünftig in eine Geschichte einfügen kann – beschäftigen möchtest, dann ist Paul Auster die erste Adresse.

Experimente wagen

Paul Auster hat auch ungewöhnliche Dinge gemacht: In „Nacht des Orakels“ hat er beispielsweise einen separaten Handlungsstrang bzw. einer separate Geschichte in die Fußnoten gepackt. Das finde ich an dieser Geschichte besonders reizvoll. Das ist schon eine ungewöhnliche Herangehensweise, die ich aber sehr gelungen fand. (Das Thema „Geschichte in der Geschichte“ findet sich bei Auster sowieso immer wieder und er beherrschte es kunstvoll.)

Die Geschichten liegen auf der Straße

Paul Auster Geschichten fanden vor der Haustür statt. Seine Geschichten spielen überwiegend in New York, in dem Umfeld, in dem er sich auskannte. (In dem Zusammenhang möchte ich auch auf Jane Austen hinweisen, die ja auch über das schrieb, was sie kannte.

Manchmal ist es nicht so leicht, den Blick auf das zu richten, was man vor der Nase hat. Aber genau dort findet das Leben statt. Es ist das Leben, das wir kennen, mit authentischen Figuren und Abläufen – und das ist es, was für Leser:innen interessant sein kann, weil sie es nicht kennen. Ich kenne New York nicht, war nie in Brooklyn. Ich kenne Paul Austers New York aus den Achtzigern und Neunziger nicht, aber er macht es in seinen Büchern lebendig, und damit ist es für mich eine exotische Welt.

Tipp: Man muss nicht bis ans Ende der Welt reisen, um gute Geschichten zu erzählen. Da, wo du lebst; das, was dir passiert, kann für einen anderen Menschen „exotisch“ sein, weil er oder sie es nicht kennt. Wenn du das Gefühl hast, dass in deinem Wohnort nichts passiert, dass es langweilig ist, dann schau dir trotzdem einmal an, wie es bei dir ist; was bei dir passiert; was das „normale Leben“ ausmacht. Es kann für jemand anderen etwas ganz Besonderes sein.

Zum Werk gehört alles

Zuletzt möchte ich dir ans Herz legen, auch das ernst zu nehmen, was du außerhalb der großen Romane, die du schreibst oder schreiben möchtest, so produzierst: deine Tagebücher, Notizen, Kalenderseiten, Klebezettel, Karteikarten, Szenenumbrüche, Exposés und so weiter. All das kann interessant sein; all das kann für Leser:innen, die dein Werk später entdecken, spannend sein. Behalte diese Dinge. Schmeiße sie nicht weg, wenn du ein Projekt beendet hast. Leg sie in eine Kiste, gib sie in eine Klarsichthülle, einen Ordner. Wer weiß, wofür du es später noch einmal verwenden kannst oder ob sich die Nachwelt, die Forscher:innen später einmal für dein Lebenswerk interessieren – so wie bei Paul Auster.

Fazit

Du siehst: Wenn man sich dem Lebenswerk eines Autors zuzuwenden möchte, den man vielleicht noch nicht kennt, bieten sich viele Zugangswege. Hoffentlich konnte ich dir heute einen meiner Lieblingsautoren näherbringen und dir etwas für dein Schreiben mitgeben.

Meine Leseempfehlungen:

  • Nacht des Orakels
  • Das Buch der Illusionen
  • Mond über Manhatten
  • Winter-Journal
  • Von der Hand in den Mund

Du hast Fragen oder Anregungen? Dann schreibe mir an: kerstin@21ufos.de

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